Montag, 22. September 2014

Day 1/Part I - Yad Vashem

Boker tov! Guten Morgen!
Das Gefühl, von all dem Neuen etwas überrumpelt zu sein, hat sich über Nacht nicht wirklich gelegt, im Gegenteil. Der Gastvater erzählt uns, dass der Morgen in Israel ganz anders abläuft, als in Deutschland. Normalerweise steht unsere Gastfamilie ohne viel Getrödel auf, zieht sich an, kippt einen schnellen Tee hinunter und dann geht's auch schon auf die Arbeit oder in die Schule. Dafür brauchen sie morgens hoechstens eine Viertelstunde, ausgedehntes Frühstück und allmählich sanfte Aufwachen: Fehlanzeige. Der Start in den Tag ist radikal gekürzt. Wegen uns stehen wir ber ein bisschen eher auf, ganz so routiniert wuerde ich den Morgen nicht auf die Reihe bekommen. Aber das ist sicher Gewöhnungssache, wir sind ja erst gestern Abend angekommen.

Mit soviel Wasser im Gepäck, dass man damit fast ein ausgedorrtes Flussbett wiederbefüllen koennte, geht es mit dem Bus nach Jerusalem. Bei 27 Grad um acht Uhr morgens und blendender Sonne ist das aber keine schlechte Idee. Genauso wie der Ratschlag unserer Gastfamilie, möglichst immer ein Kopftuch oder einen Hut zu tragen. Mir wird die Sonnencreme geradezu aufgedrängt und jetzt schon machen alle Witze. Als wir gestern Nacht wieder in die Wohnung gekommen sind, kam vom Gastvater halb ungläubig, halb belustigt: "Dein Gesicht ist so rot! Wie kann das sein, es ist doch dunkel draußen!!" Das war nicht wirklich aufbauend, aber lachen musste ich trotzdem.
Jetzt da kaum eine Wolke am Himmel ist und die Sonne unbarmherzig herunterbrennt, sind aber alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Ein weiterer Rat - wir sollen uns wegen der vielen Soldaten nur keine Sorgen machen. Überall in der Stadt trifft man sie ständig, und viele haben ganz lässig ihre riesigen Gewehre über der Schulter hängen. In Israel sieht so die Normalität aus. Ein Grund, sich unsicher oder gar bedroht zu fühlen, ist das aber nicht,so unsere Gastfamilie. Daran lässt ihre unbekümmerte Art auch wenig Zweifel. Sie sind zu sehr daran gewohnt, von den Bewaffneten umgeben zu sein. Aber dazu später mehr.



Nach ungefähr einer Stunde erreichen wir in Yad Vashem, die Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem. Dort werden wir von Guide Jonathan begrüßt. Er spricht sehr gut deutsch, was aber noch wichtiger ist: er weiß wirklich, wovon er spricht. Ich würde am liebsten soviele Dinge mitschreiben, die er uns erzählt. Und das wörtlich, denn seine Formulierungen sind oft zititerwürdig. "Es ist wichtig, Geschichte mit all den Hintergründen zu betrachten. Aber fast noch wichtiger ist es, zu versuchen, durch die Augen der Betroffenen zu sehen." Um nur eine zu nennen.
Die Gedenkstätte ist mehr ein großes Areal aus verschiedenen Gebäuden, aber auch draußen sind Dinge verteilt, wie der Garten der Völker, steinerne Gedenktafeln, Bänke zwischen knorrigen, lichten Bäumen. Das eigentliche Museum ist eine Art Dreiecksbau. Zwei Seitenwände stehen schräg und nach oben spitz aufeinander zu. Diese langgezogene Spitze ist verglast, Fenster gibt es sonst keine. Das bedeutet, man läuft einen festgelegten Weg entlang, der in Schlängellinien leicht ansteigt in Richtung des Ausgangs. Der ist auf der anderen Seite des Gebäudes und liegt höher als der Eingang. Meistens ist es dämmrig, aber zwischen den einzelnen Abschnitten, die die jüdische Geschichte zeigt, wird immer wieder der Blick hoch zum Himmel frei. Durch die verglaste Spitze fällt Sonnenlicht herein. Jonathan erklärt, dass der Architekt damit den Weg der Juden verbildlichen wollte, den sie nicht frei wählen konnten (deshalb wird man als Besucher eine Art Pfad entlanggeleitet). Das Licht von oben soll die Hoffnung darstellen, die trotz allem immer existiert. Am Ende, quasi im Heute angekommen, wird der Anstieg stärker und man läuft der dreieckigen verglasten Front entgegen. Die Terasse dahinter gibt dann den Blick über das eigentliche Jerusalem frei - es versinnbildlicht die offene Zukunft.


Der Besuch ist sehr eindrucksvoll. Am krassesten war aber die Gedenkstätte fuer die im Holocaust ermordeten Kinder: Ein Raum mit verspiegelten Wänden, komplett dunkel und nur erhellt durch fünf brennende Kerzen, deren Licht sich hundertfach überall spiegelt. Man steht mitten in dieser Dunkelheit und eine Stimme liest unablässig die Namen, das Alter und das Herkunftsland der Kinder vor, die vor im Dritten Reich ihr Leben lassen mussten. Im Hintergrund hört man leisen Gebetsgesang. Ich kann mich nur schwer lösen und selbst draußen in der heißen Sonne verschwindet die Gänsehaut nur langsam.

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